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70 Jahre KZ Neuengamme Hauptprozess / Curiohaus-Prozess 1946

Andrea Bentschneider - 18. April 2016 - Allgemein, Historische Ereignisse, Wissen, 2. Weltkrieg

Im Jahr 2016 jährte sich zum 70. Mal einer der unbekannteren Kriegsverbrecherprozesse, welche nach Ende des Zweiten Weltkrieges, zunächst durch die Alliierten (bspw. die Nürnberger Prozesse 1945-49), später auch vor deutschen Gerichten (Auschwitzprozesse in den 1960er und -70er Jahren) geführt wurden: Der „Neuengamme-Hauptprozess“.

Durchgeführt auf königlichen Befehl vor einem britischen Militärgericht fand der Prozess von März bis Mai 1946 im Hamburger Curiohaus statt und trägt daher auch den Namen „Curiohaus-Prozess“. Verhandelt wurden Kriegsverbrechen im KZ Neuengamme und seinen Außenlagern an der Stadtgrenze Hamburgs, wo seit 1938 mehr als 100.000, vorwiegend Alliierte Kriegsgefangene unter menschenverachtenden Lebens- und Arbeitsbedingungen inhaftiert waren. Mehr als 50% der Gefangenen verstarb noch dort oder an den Spätfolgen von Zwangsarbeit, Folter, Hunger, medizinischen Versuchen und den sogenannten Todesmärschen nach Auflösung des Lagers Ende April 1945. Zahlreiche Häftlinge kamen auch noch bei der historischen Bombardierung der Cap Arcona und Thielbeck ums Leben. Unter den Opfern waren auch zahlreiche Kinder.

Mehrere Aspekte des Curiohaus-Prozesses sind besonders interessant: Zunächst, dass er sich ausschließlich mit Kriegsverbrechen an alliierten Staatsangehörigen beschäftige. 

Auch eines der, aus juristischer Sicht, Hauptprobleme der Prozesse zu deutschen Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg, nämlich die Frage der direkten Schuld/Verantwortlichkeit für die Morde in den Lagern, wurde durch die Anklage zur „gemeinschaftlicher Verschwörung“ gelöst. So konnte die ´bloße´ Zugehörigkeit zur SS, und/oder dem Lagersystem, ohne Nachweisung individueller Straftaten geahndet werden.

Für uns Ahnenforscher ist natürlich auch die Beteiligung eines Enkels Sigmund Freuds, Anton Walter Freud, an der Aufklärung und Verfolgung der Neuengamme-Verbrechen (als Teil des War Crimes Investigation Team(WCIT) No. 2), u.a. der Verhaftung eines der untergetauchten Lagerärzte, interessant.

Abgesehen von der grundsätzlichen historischen Bedeutung und Wichtigkeit eines solchen Prozesses, bieten die hierdurch gesammelten und entstandenen Unterlagen, von Lageplänen und Fotos, über Toten- und Überlebendenlisten, bis hin zu ausführlichen Zeugenaussagen über die Geschehnisse im KZ, ein weites und fruchtbares Feld zur Recherche. So können wir viel über das individuelle Schicksal mit Neuengamme verknüpfter Vorfahren herausfinden oder durch allgemeinere Schilderungen ableiten. Keine leichte, aber eine lohnende Aufgabe.

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