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Eine kurze Geschichte der Volkszählungen in Deutschland

Ann-Christin Dimon - 13. September 2019 - Allgemein, Historische Dokumente, Wissen

Am 13. September 1950 fand in der Bundesrepublik Deutschland die erste Volkszählung statt.  Jedoch war es nicht die erste Volkszählung auf deutschem Gebiet. Diese wurden bereits im 18. Jahrhundert vereinzelt in den Königreichen und Fürstentümern durchgeführt. Ab 1816 kann von regelmäßigen Volkszählungen im heutigen deutschen Gebiet gesprochen werden. Bis heute bilden Sie eine interessante Quelle für die Ahnenforschung, auch wenn standesamtliche Urkunden und Kirchenbücher in Deutschland meist besser erschlossen und erhalten sind.

Die ersten Volkszählungen wurden zunächst unabhängig voneinander in den einzelnen Staaten durchgeführt und waren meist grobe Schätzungen, die auf Kirchenbüchern und Melderegistern basierten. Namen wurden ebenfalls selten bis gar nicht aufgeführt, sodass diese rein statistische Zwecke erfüllten.

 

Wirtschaftliche Zwecke

Dies änderte sich mit dem Aufkommen der ersten Zollunionen auf deutschem Gebiet. 1828 gründeten sich die Zollunion zwischen Bayern und Württemberg und die Zollunion unter der Führung Preußens. Auf Grund dessen wurden auch die Volkszählungsdaten erweitert, da man versuchte, die Einnahmen durch Zollabgaben gerecht auf die einzelnen Staaten und schlussendlich auf die Bürger zu verteilen. Somit waren die ersten Volkszählungen, die einigermaßen standardisiert waren, ökonomisch motiviert.

Ab 1830 sammeln fast alle deutsche Staaten Volkszählungsdaten. Es gab jedoch keine einheitlichen Verfahren, so dass die Informationsmenge und auch die Vertrauenswürdigkeit der Daten stark variiert.

Mit der Gründung des Deutschen Zollvereins 1834, der den viele der deutschen Vorläuferstaaten umfasste, änderte sich auch das Verfahren der Volkszählungen. Im Vertrag des Deutschen Zollvereins wurde festgelegt, dass Volkszählungen alle drei Jahre in einem vereinheitlichten Verfahren durchgeführt werden mussten, so dass die gerechte Verteilung der Einnahmen durch die Zollunion gesichert war. Zudem wurde das Datum für die Volkszählungen auf spezifische Tage Anfang Dezember festgelegt, Städte mit mehr als 300.000 Einwohner bekamen drei Tage Zeit, um den Zensus durchzuführen. Der Grund dafür war recht banal: Man ging davon aus, dass im Dezember der größte Teil der Bevölkerung zu Hause war. Meist waren die Volkszählungen weiterhin vor allem statistischer Natur.

 

Namen, Daten, Fakten

Eine langsame Veränderung fand ab 1840 statt, als der Zollverein Zensuslisten einführte, auf denen bereits erste Namen auftauchen. Bei diesen handelte es sich meist jedoch nur um die Hausbesitzer oder Familienoberhäupter. Die restlichen Personen wurden in der Regel nur als Zahlen oder mit dem Geschlecht vermerkt.

Im Jahr 1843 schließlich gab der Zollverein vor, dass jede Person individuell erfasst werden musste und keine Kirchenbücher oder Einwohnerregister mehr für die Berechnung verwendet werden durften. 1858 wurden umfassende Listen als Standard eingeführt und ab 1864 mussten die Namen jeder einzelnen Person in eigens erstellte Formulare eingetragen werden. Dies sollte Mehrfachzählungen verhindern.

Im Deutschen Kaiserreich (1871-1918) fand 1871 die erste tatsächlich deutschlandweite Volkszählung statt. Eine vollständige Vereinheitlichung dauerte jedoch noch eine Weile. Ab 1875 bis 1910 wurde alle 5 Jahre Volkszählungen durchgeführt. Danach folgten deutschlandweite Volkszählungen in unregelmäßigen Abständen. Die Volkszählungen 1916 und 1917, die als Grundlage zur Verteilung von Lebensmitteln durchgeführt wurden, gelten nicht als reguläre Zählungen. Diese fanden erstmals 1919 wieder statt.

Von 1871 bis 1919 erfasste man die "ortsanwensende Bevölkerung", in den Volkszählungen 1925 und 1933 stieg man auf die sogenannte “Wohnbevölkerung" um. Das bedeutet, dass man die Bevölkerung, die an dem maßgebenden Ort ihren alleinigen Wohnsitz oder ihren Lebensmittelpunkt besaß, erfasste.

Im Nationalsozialistischen Staat sollte 1937 eine Volkszählung durchgeführt werden, aufgrund verschiedener Gebietsvergrößerungen wurde sie jedoch in das Jahr 1939 verlegt. Diese Volkszählung enthielt eine Vielzahl an rassistischen Kriterien, die unter anderem für die Durchführung von Deportation und die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung eingesetzt wurden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden auch in den vier Besatzungszonen Volkszählungen durchgeführt, die unter anderem die Kriegstoten und die Flüchtlingsströme aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten dokumentieren sollte.

In der DDR fanden insgesamt vier Volkszählungen in unregelmäßigen Abständen statt. Ab 1964 kam hierzu bereits, wie auch der BRD, elektronische Datenverarbeitung zum Einsatz.

In der BRD zählte man die Bevölkerung bis 1970 alle fünf bis neun Jahre, außerdem erfasste man bei der zusätzlichen Gebäude- und Wohnungszählung von 1956 auch die dort lebende Bevölkerung. Hier spricht man von einer kleinen Volkszählung. Aufsehenerregend war die Volkszählung, die im Jahr 1987 durchgeführt wurde. Diese wurde von massiven Protesten und Boykotten begleitet, die ihren Fokus auf den Datenschutz richteten.

2001 begann man damit, einen registergestützten Zensus, der auf den deutschen Melderegistern basieren sollte, vorzubereiten. Jedoch fiel dabei auf, dass etwa 1,3 Millionen Personen zu viel in den Melderegistern vorhanden waren und die Zählung konnte nicht durchgeführt werden konnte.

2006 einigte man sich auf den 9. Mai 2011 für die Ausführung. Dieser Zensus sollte, basierend auf dem Zensusgesetz 2011, registergestützt sein. Dies war nun möglich, da die Melderegister 2007 durch die Vergabe neuer Steuernummern bereinigt wurden. Der Zensus 2011 war die erste Volkszählung seit der Wiedervereinigung und demnach auch die erste Volkszählung seit 1946, die auf gesamtdeutschem Gebiet durchgeführt wurde.

Seit 2011 sind die Volkszählungen in der EU sozusagen "synchronisiert". Seit 2011 sollen alle 10 Jahre, im Mai, Volkszählungen in allen Mitgliedsstaaten der EU durchgeführt werden. Damit findet der nächste Zensus 2021 statt. Auch dieser soll registergestützt sein.

 

Von Tür zu Tür, Registergestützt oder doch mittels Frageborgen?

Wie bereits erwähnt änderten sich die Verfahren, mit denen Volkszählungen durchgeführt wurden. Die Daten konnten auf Kirchenbüchern und Einwohnerregistern basieren, später gingen „Volkszähler“ von Tür zu Tür, um die dort anwesend oder dort lebenden Personen zu erfassen (die teilweise des Lesens und Schreibens unkundig waren). Später gab es auch Fragebögen, die von den Haushaltsvorständen oder Individuen auszufüllen waren. Mittlerweile sind die Volkszählungen in Deutschland registergestützt (auf Basis der Melderegister), so dass man kaum etwas von ihnen mitbekommt. Hinzu kommen lediglich Haushaltebefragungen auf Stichprobenbasis, um die Informationen abzugleichen und weitere zu erheben.

All dieser Verfahren bringen verschiedene Probleme und Fehlerquellen mit sich, die zu fehlerhaften, fehlenden oder doppelten Informationen führen können.

 

 

Auch wenn viele der Daten der Volkszählungen Mängel aufweisen und häufig nur die statistischen Daten archiviert wurden, während viele der ursprünglichen Listen und Bögen, auf denen diese basierten, vernichtet wurden, sind Volkszählungslisten heute keine unwichtige Quelle für die Ahnenforschung. Eine Recherche in ihnen kann Recherchen in standesamtlichen Urkunden und Kirchenbüchern ergänzen und ggf. Lücken füllen. Leider sind die noch erhaltenen Listen in Deutschland jedoch häufig schlecht erschlossen und eine Recherche entsprechend meist langwierig und aufwendig, sofern die Daten noch nicht digitalisiert und indexiert wurden, was meist nicht der Fall ist.

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