Beyond History Blog

Auswanderung aus Deutschland: Ankunft in einer neuen Welt - Einreisen und Ankommen sind zwei unterschiedlich‘ Paar Schuhe

Andrea Bentschneider - 11. Mai 2020 - Allgemein, Auswanderung, Hamburg, Historische Ereignisse, Persönlichkeiten, Wissen

Von den deutschen Auswandererhäfen Hamburg und Bremen bzw. Bremerhaven hatten die überwiegende Mehrheit der Auswanderer Nordamerika und ein deutlich kleinerer Anteil Brasilien, Australien, Argentinien, Chile und weitere Länder als Ziel.

Über Bremen reisten vor allem Menschen aus den süd- und mitteldeutschen Rheinprovinzen aus, Hamburg wurde eher von Auswanderern aus nordöstlichen Staaten wie Mecklenburg, Preußen und den heutigen osteuropäischen und südosteuropäischen Ländern als Hafen genutzt. Daneben gab es weitere kleinere Ausreisehäfen, wie etwa Stettin, die zahlenmäßig aber nicht an Bremen und Hamburg herankamen.

In den USA war es zunächst jedem Bundesstaat überlassen, wie er mit den Einwanderern umging. Erste Zählungen der Einwanderer begannen 1820. In den 1820ern kamen rund 152.000 deutsche Emigranten, zwischen 1840 und 1850 schon 1,7 Millionen ins Land. Zwischen 1820 und 1920 kamen gut 5,5 Millionen Einwanderer aus Deutschland. Wenn man auf die gut dreihundert Jahre deutscher Auswanderung zurückblickt, haben insgesamt mehr als 7 Millionen Deutsche ein neues Leben in den USA begonnen. Daher ist es kein Wunder, dass im Jahr 2000 rund 27% der US-Amerikaner angaben, deutsche Vorfahren zu haben. Die Einwanderungszahlen stiegen stetig weiter und ab 1880 kamen vermehrt Emigranten aus Süd- und Osteuropa an, die als „nicht anpassungswillig“ galten.

Bis 1892 ging es von Bord direkt nach Manhattan, ab 1855 über den Kontrollpunkt Castle Clinton an der Südspitze Manhattans. Dieser Kontrollpunkt wurde 1890 geschlossen und im Jahr 1892 durch Ellis Island vor den Toren New Yorks ersetzt. Durch die Eröffnung der Kontrollstation auf Ellis Island blieb es den Passagieren immerhin erspart, vor der Einreise an Bord des Schiffes in Quarantäne zu bleiben, wobei dies ohnehin nur für die Passagiere der dritten Klasse galt.

Auf Ellis Island wurden Befragungen und Gesundheitskontrollen vorgenommen und den Ankommenden erste Übergangsunterkünfte vermittelt. Wer auf Ellis Island die Befragung oder Gesundheitskontrolle nicht bestand, dem wurde die Einreise verweigert. Ebenso wurden bestimmte Bevölkerungsgruppen und Nationalitäten mit einem Einreiseverbot belegt: Ab 1882 traf es Arme, Bi- und Polygamisten, Prostituierte, Anarchisten und Chinesen, ab 1907 waren es Japaner, und ab 1917 Analphabeten, die von Ellis Island aus die Rückreise antreten mussten.

Weil die Reedereien auf dem Rückweg nach Hamburg oder Bremen Frachtgut mitnahmen, wurden die Etagenbetten zur Passagierbeförderung der 3. Klasse  im Frachtraum unter Deck dann abgebaut. Wegen dieser doppelten Funktion der Schiffe und aus Kostengründen war es den Reedereien vor der Abfahrt besonders wichtig, nur gesunde Passagiere mitzunehmen. Denn wem die Einreise zum Beispiel aus gesundheitlichen oder anderen Gründen verweigert wurde, den mussten die Reedereien auf eigene Kosten wieder zurück transportieren.

Der Prozess der Einwanderung auf Ellis Island konnte mehrere Tage in Anspruch nehmen und die Gefahr, „aussortiert“ zu werden, war jederzeit gegeben. Wie bereits erwähnt, traf diese Prozedur aber nur Passagiere der dritten Klasse. Die Passagiere der höheren Klassen durften nach dem Ankern direkt nach Manhattan übersetzen. Damit mussten die Erste-Klasse-Reisenden dank der höheren Fahrtkosten auch keine Gesundheitskontrollen oder ähnliches über sich ergehen lassen. Der eigene volle Geldbeutel und der höhere Stand schützte anscheinend vor und auf der Überfahrt vor Infektionskrankheiten wie Cholera, Gelbfieber, Pocken, Fleckfieber (früher auch Nervenfieber genannt) oder anderen Leiden und folglich stellte man auch keine gesundheitliche oder sonstige Gefahr in den USA dar. Klingt logisch, oder? Mehr über die Geschichte der Einwanderung über Ellis Island lässt sich auch vor Ort im Ellis Island National Museum of Immigration erfahren.

 

Auch weiter südlich auf dem Kontinent verlief die Einwanderung nicht immer einfach. Nachdem Brasilien unabhängig geworden war, begann man ab 1820 damit, gezielt deutsche Auswanderer anzuwerben. Dem jungen Land fehlte es massiv an Arbeitskräften und mit dem Versprechen auf kostenlose Überfahrt, eigenes Land und Vieh und andere Vorzüge lockte man Siedler über die Häfen Bremen und Hamburg nach Süd-Brasilien. Was die Neuankömmlinge allerdings erst nach der Schifffahrt erfuhren: Die Fahrtkosten mussten nach Ankunft „abgearbeitet“ werden, bevor man als freier Mensch tatsächlich sein Glück in Brasilien versuchen konnte. Auch kam es vor, dass Reisende von Einwanderungsbehörden festgehalten wurden und ihr eigentliches Ziel deshalb nie erreichten. Oft, wenn man selbst quasi „zu spät für ein eigenes Stück Land gekommen war“, blieb keine andere Wahl als bei wohlhabend gewordenen Landleuten als bescheidene Arbeitskraft anzuheuern.

Australien hat in Sachen Einwanderung noch eine Besonderheit. Die europäische Einwanderung dorthin begann als Deportation bzw. Zwangsmigration, Australien war eine Strafkolonie des Britischen Empires. Dass Deutsche aus freien Stücken nach Australien emigrierten, ist ab ungefähr 1840 belegt, wobei die Auswanderung hauptsächlich über den Hamburger Hafen stattfand. Von den ungefähr 3,5 Millionen europäischen Immigranten zwischen 1815 und 1930 lag der Anteil der Deutschen bei maximal 5%. Auch hier war die Hoffnung auf eigenes Land groß, denn die meisten deutschen Siedler in Australien waren Bauern, häufig Weinbauern, Arbeiter und Handwerker. Australiens Strategie in Sachen Migration war insbesondere die Besiedlung des Landes, viele deutsche Einwanderer hatten deshalb tatsächlich die Gelegenheit, Siedlungen zu gründen und Landwirtschaft zu betreiben. Im Barossa Valley in Südaustralien sind auch heute noch viele Weingüter mit deutschem Namen zu finden. Als um 1850 in den Bundestaaten Victoria und New South Wales Gold gefunden wurde und die große Goldsuche begann, wurden die deutschen Einwanderer zur größten Gruppe unter den Goldgräbern. Der erste Weltkrieg setzte der deutschen Einwanderung nach Australien allerdings ein zeitweiliges Ende: Bis 1925 wurde Deutschen die Einreise generell verweigert und einige deutsche Siedler und ihre Nachkommen wurden des Landes verwiesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg normalisierte sich das Verhältnis wieder.

Doch abgesehen von diesen vielen Unwägbarkeiten, waren doch einige der Beweggründe für die Auswanderung die Mühe wert. So konnten zahlreiche deutsche Mennoniten aus Russland in Paraguay und bis Ende des Ersten Weltkrieges auch in Kanada vom Recht auf freie Religionsausübung Gebrauch machen und eigene Privatschulen betreiben, in Paraguay kamen weitere Vorteile wie die Befreiung vom Militärdienst und freies Erbrecht dazu. Auch Siedler in der Dobrudscha (Schwarzmeerküstengebiet im heutigen Rumänien und Bulgarien) profitierten von der Religionsfreiheit im osmanischen Reich, zu dem die Landschaft bis ins späte 19. Jahrhundert gehörte.

In vielen Teilen der Welt lassen sich die Migrationsbewegungen heute noch nachspüren, zum Beispiel anhand deutscher Ortsnamen und heimelig anmutenden Fachwerkhäusern in Südamerika. Auch in großen Städten wie beispielsweise Hamburgs Partnerstadt Chicago haben Deutsche Ihre Spuren hinterlassen.

In einigen dieser  Orte wird bis heute das kulturelle Erbe mit deutschen Festen, Blechbläserchören  und traditionellen Trachten gepflegt. Auch einige bis heute bekannte Bierbrauereien und -marken wurde von deutschen Auswanderern gegründet, wie die heute chinesische Tsingtao Brewery Company, die Brauereien D.G. Yuengling & Son oder Pabst in den USA, das amerikanische Budweiser, und weltweite Oktoberfeste wie in Blumenau, Brasilien oder Cincinnati, USA gehen auf deutsche Siedler zurück.

Doch damit nicht genug, das Thema Auswanderung betrifft auch viele berühmte Persönlichkeiten weltweit. Der Mondfahrer Neil Armstrong, der erste Milliardär der Welt John D. Rockefeller, der Flügelbauer Steinway sowie einige US-amerikanische Spitzenpolitiker und Stars und Sternchen sind Nachfahren von deutschen Auswanderern oder waren selbst welche.

Interessant ist, dass durchaus oft über mehrere Generationen hinweg mehrfache Auswanderungsbewegungen zu beobachten sind. Beispielhaft stehen hier deutsche Auswanderer ins dänische Jütland oder in das damals dänische Herzogtum Schleswig, die später dem Ruf der Zarin Katharina der Großen nach Russland folgten, oder Nachfahren der genannten deutschen Mennoniten, die nach Russland, später nach Kanada und danach nach Paraguay gingen, oder deutsche Auswanderer in Bessarabien, die in die osmanische Region Dobrudscha am Schwarzen Meer weiterwanderten, oder Familien und Nachfahren deutscher Kolonisten in Bulgarien und Rumänien, die in den frühen 1940er Jahren der „Heim ins Reich“-Propaganda zurück nach Deutschland folgten… Wenn die ursprünglichen Privilegien für Siedler verloren gingen, nicht mehr genug Land zur Verfügung stand, politische Verhältnisse sich änderten, der Status als Minderheit vom Vorteil zum Nachteil wurde – schien das Spiel von vorn loszugehen. Die Spielregeln können Sie hier nachlesen.

Ohne es vorweg zu nehmen, können wir Ihnen ansonsten das Ende unserer kleinen Serie empfehlen: die Quellen für die eigene Recherche. Finden Sie heraus, auf welche Reise sich Ihre Vorfahren begaben und begleiten Sie sie – wir wünschen viel  Spaß dabei!

Neuer Kommentar

0 Kommentare

Benachrichtigung bei neuen Blog-Artikeln