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Kindertag = Kindertag? Feiern in Ost- und Westdeutschland

Heike Leiacker - 01. Juni 2017 - Allgemein, Familie, Feiertage, Traditionen, Wissen

Zwar gibt es keine zwei Staaten mehr, Unterschiede lassen sich zwischen Ost- und Westdeutschland aber weiterhin feststellen. Strukturelle Ungleichheiten, aber vor allem auch weiterhin verschiedene Traditionen, z.B. im Begehen mancher Feierlichkeiten. So ist beispielsweise am 1. Juni in Deutschland Kindertag. Einer der Kindertage um genau zu sein. Tatsächlich werden nämlich heute in Deutschland zwei Kindertage gefeiert. Der Internationale Kindertag am 1. Juni und der Weltkindertag am 20. September. Wobei ersterer eine größere Bedeutung im Osten des Landes hat.

 

Kindertag und Feiern in Kindheit und Jugend

Wie kam es zu den beiden Kindertagen? Spezielle Kindertage gibt es seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (der erste wurde 1920 in der Türkei eingeführt). Ab 1950 feierten die sozialistischen Staaten und auch die DDR den Internationalen Kindertag. Dieser sollte grundsätzlich auf Kinderrechte aufmerksam machen, war aber auch ideologisch geprägt. Auch auf der anderen Seite der Grenze ließ ein Kindertag nicht lange auf sich warten. 1954 beschloss die UNO einen Weltkindertag, bei dem es ebenfalls um Kinderrechte gehen sollte. Allen Staaten wurde freigestellt, wann dieser gefeiert werden sollte. In der Bundesrepublik Deutschland wurde der 20. September gewählt.

Was geschah am Kindertag? In der BRD nicht allzu viel, lange Zeit wurde er kaum wahrgenommen. Zwar gab es durchaus Aktionen um auf Kinderrechte weltweit aufmerksam zu machen, größere Festlichkeiten entwickelten sich aber erst später. In der ehemaligen DDR war der Tag hingegen durchaus ein Highlight für Kinder. Ihnen wurden von Eltern und Erziehern nicht nur gratuliert, sie wurden auch beschenkt. Es gab zudem Umzüge und spezielle Programme und Feste, die von den Schulen und Kindereinrichtungen organisiert wurden. Bei den Umzügen liefen die Kinder z.B. mit selbstgebastelten Blumenstöcken (Flieder) durch die Orte.

 

Und heute? Anfangs wurde nach der Wiedervereinigung offiziell nur der Weltkindertag im September begangen, der Internationale Kindertag blieb im Osten aber wichtig und so werden heute häufig beide parallel gefeiert. In vielen Städten gibt es Feste und besondere Aktionen. Für Kinder lohnt es sich dabei durchaus im Osten Deutschlands zu wohnen. Sie können weiterhin auf kleine Geschenke und besondere Familientraditionen hoffen und häufig findet ein Projekttag in der Schule oder Kindertagesstätte statt, beispielsweise mit Ausflügen. Mitunter gibt es auch noch Umzüge. Im Westen ist der Kindertag im Vergleich weniger bedeutsam. Es finden jedoch in vielen Städten Feste und besondere Aktionen statt.

Aber der Kindertag ist nicht der einzige Tag, der im Osten des Landes bis heute das Leben eines Kindes oder Jugendlichen anders prägt als in Westdeutschland. So gibt oder gab zumindest auch Unterschiede bei der Einschulung. Tendenziell wird diese im Osten des Landes offenbar als ein wichtigeres Ereignis wahrgenommen als im Westen. In der Regel wird an einem Samstag der Schuleingang groß gefeiert, in der Schule und später oft auch mit einem großen Familienfest. Als ich in Norddeutschland eingeschult wurde, fand dies an einem Tag unter der Woche statt, ich bekam natürlich eine Schultüte (übrigens eine sehr deutsche Tradition), hatte ein gutes Kleid an und ich weiß, dass meine Großeltern da waren. Eine größere Feier gab es aber nicht. Tatsächlich wird die Einschulung, zumindest heute, auch in Westdeutschland häufig an einem Samstag gefeiert und die Feiern werden größer. Unterschiede gibt es offenbar trotzdem noch, auch bei der Größe der Schultüten.

Bekannt ist zudem Vielen die Jugendweihe, die meist im Alter von 14 Jahren begangen wird. Neben der katholischen Firmung und evangelischen Konfirmation gab es freireligiöse und später auch proletarische Jugendweihen seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Heute denkt man beim Stichwort Jugendweihe dennoch meist an die ehemalige DDR. 1955 wurde sie erstmals offiziell von Seiten der SED durchgeführt. In späteren Jahren gab es nur wenige Jugendliche, die nicht an den Feiern teilnahmen, da dies negative Folgen haben konnte. Vorab gab es speziellen Unterricht. Beim Festakt selbst wurde feierlich auf den sozialistischen Staat geschworen und man erhielt eine Urkunde, eine Nelke und ein, natürlich ideologisch passendes, Buch. Es war aber auch ein Familienfest und man bekam Geschenke. Trotz der ideologischen Aufladung im Sozialismus setzte sich die Tradition der Jugendweihe, heute auch als Jugendfeier bezeichnet, nach der Wiedervereinigung fort, ohne Vorbereitungsstunden und Gelöbnis natürlich. Ohnehin gab es sie durchgängig auch in Westdeutschland. Die Feiern zum Übergang ins Erwachsenenalter, vorrangig für konfessionslose Jugendliche, sind im Osten aber bis heute sehr viel weiter verbreitet als im Westen.

Auch die Eltern werden anders gewürdigt

Auch Mütter bzw. Frauen haben noch heute im Osten etwas mehr zu feiern als im Westen. Der heute deutschlandweit gefeierte Muttertag am zweiten Sonntag im Mai wurde in der ehemaligen DDR offiziell als reaktionärer Brauch abgelehnt. Inoffiziell wurde der Tag aber dennoch oft im familiären Kreis begangen. Dagegen war der Internationalen Frauentag am 8. März, der in Westdeutschland ein Schattendasein fristete, ein wichtiger Feiertag. Er sollte, zumindest vordergründig, die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern fördern. Es gab offizielle Betriebsfeiern, Auszeichnungen, Blumen oder gar Beförderungen. Noch heute ist es im Osten Deutschlands im Gegensatz zum Westen durchaus üblich zum Frauentag zu gratulieren oder weiblichen Angestellten Blumen zu übergeben.

Der Gleichberechtigung halber sei noch der Vatertag, in Ostdeutschland oft auch Herrentag oder Männertag, genannt. An Christi Himmelfahrt wird in Deutschland auch der Vater geehrt. Das gilt für West- wie Ostdeutschland. Als der Himmelfahrtstag in der ehemaligen DDR abgeschafft wurde, feierten die Herren dort sogar einfach trotzdem weiter. In religiöseren Regionen Deutschlands wird das christliche Fest unabhängig vom Vatertag meist mit Prozessionen begangen. Insbesondere im Osten hat sich aber auch die Tradition erhalten, Männerausflüge zu machen – meist unabhängig von einer tatsächlichen Vaterschaft. Häufig sind dies Wanderungen, bei denen oft ein Bollerwagen oder ein anderes Transportmittel für Alkohol eine Rolle spielt. Regional unterschiedlich werden zum Herrentag offenbar mitunter sogar alle männlichen Verwandten beschenkt. Auch in Norddeutschland sieht man aber am Vatertag alkoholisierte Männerhorden – meist auf dem Fahrrad oder zu Fuß.

 

Grundsätzlich gilt natürlich, dass es nicht nur Unterschiede zwischen Ost und West gibt. Viele Traditionen sind wohl auch regional und vor allem familiär geprägt. Und wagt man den Blick über Deutschland hinaus, gibt es eine noch größere Vielzahl verschiedener Arten (und Daten), die oben genannten Tage zu feiern.

Wie wird denn bei Ihnen gefeiert?

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